Vergangenes Wochenende war Bundesparteitag und es wurde ein neuer Vorstand gewählt. Der neue Vorstand entspricht nicht den Vorstellungen etlicher Mitglieder und es nicht erkennbar, dass dieser Vorstand den Verwerfungen und Spaltungstendenzen der Basis entgegenwirken kann.
Im nachfolgenden Brief an alle Mitglieder hat Dietmar Ferger versucht, allen (!) Mitgliedern Mut zu machen:
Liebe Sammy und liebe alle, die jetzt frustriert ihre Ämter aufgeben oder sogar aus der Partei aussteigen wollen.
Politik ist in den seltensten Fällen vergnügungssteuerpflichtig.
Für gute Politik braucht man vor allem: Geduld, Frustrationstoleranz, Lernfähigkeit und – bereitschaft, und den Willen, auch mit Menschen, mit denen man nicht unbedingt die Ferien zusammenverbringen würde, konstruktiv und im Sinne der Ziele zusammenzuarbeiten. Wenn man dies konsequent macht, wird man viele neue Erfahrungen machen können, da man in andere „Blasen“ eintaucht und so sein Weltbild erweitert. Dies erfordert Toleranz, Gesprächsbereitschaft und Austauschwille von allen Seiten.
Das ist für viele aus zwei Gründen besonders schwierig:
Einmal haben die allermeisten dieBasis Mitglieder keine politische Erfahrung. Sie sind frustriert, weil sie sich „Politik“ ganz anders vorgestellt haben und ihnen die Geduld und die Toleranz – auch gegenüber den persönlichen Eigenschaften von Menschen – fehlt. Sie waren und sind auch der Meinung, dass alle Menschen, die sich in unserer Partei versammelt haben, genauso denken und fühlen müssen wie man selber, und dass alle harmonisch, fair und achtsam handeln werden.
Dies ist ein Trugschluss, denn unsere Nerven sind alle überlastet, die allermeisten haben nicht nur die Corona-Krise, sondern auch dazu noch persönliche, finanzielle, berufliche und andere Krisen. Da müssen wir allen anderen gegenüber ganz besonders tolerant sein.
Zum zweiten fehlt uns das gemeinsame Ziel. Uns eint zwar der Wunsch, die Corona-Maßnahmen schnellstmöglich zu beenden, aber wir konnten sehen, dass bei vielen dieBasis Mitgliedern im „inneren Zirkel“ dieses Ziel schon seit vielen Monaten nicht mehr im Vordergrund stand. Innerparteiliche Bekehrungsversuche (zu bestimmten Formen der Basisdemokratie, zu Programmpunkten, zu schnell hingeworfenen und wenig durchdachten Organisationsformen …) von allen Seiten, persönlicher Diskrepanzen und dazu die Missverständnisse und Eskalationen provozierenden Kommunikationsformen über Telegram und Zoom haben dazu geführt, dass wir inhaltlich wenig bis garnicht überzeugend sind und inhaltlich so gut wie nichts entwickelt haben. Einige Ausnahmen bestätigen die Regel, sie sind vor allem in gut geführten Kreisverbänden und in den weinigen arbeitsfähigen inhaltlichen Arbeitsgemeinschaften zu finden.
So sind wir eine Wünsch-Dir-Was-Partei geworden, in die jeder seine Wünsche hineinprojiziert und enttäuscht ist, wenn sie nicht von dem ominösen „Schwarm“ aufgegriffen und begeistert umgesetzt werden.
Wenn wir als Partei „funktionieren“ wollen, müssen wir uns alle über diese Zusammenhänge im Klaren sein. Gegenseitige Beschimpfungen können mal sein, da wir alle Menschen sind, aber dann muss auch wieder gut sein, man entschuldigt sich und arbeitet weiter konstruktiv zusammen. Und zwar mit allen, die dabei sind, dabei sein wollen und das bis jetzt nur grob umrissene Parteiziel teilen.
Das Wahlergebnis zum Bundesvorstand – auch wenn ich es mir erstmal anders gewünscht hätte – war die richtige Reaktion des „Schwarms“ auf diese verfahrene Situation: Der Schwarm hat das einzige, die Partei einende Ziel gewählt: Der Kampf für die Beendigung der Corona-Maßnahmen. Der Schwarm hat weder Basisdemokratie noch Dreigliederung bzw. Programm gewählt.
Ich würde mir wünschen, dass wir dieses Votum als eine solche berechtigte und auch kluge Reaktion verstehen, die eine Momentaufnahme ist.
Der Vorstand hat nun die Aufgabe, die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen, die fehlenden Organisationsstrukturen zu schaffen, die Finanzen in Ordnung zu bringen und so eine organisatorische und finanzielle Stabilität in die Partei zu bringen, die es uns erlaubt, in den Landtagswahlen in 2022 überzeugend aufzutreten – da müssen wir dann inhaltlich das Thema „Beendigung der Corona-Maßnahmen“ erweitern, aber das Wahlergebnis zeigt, dass dies – jedenfalls bis auf weiteres – das Hauptthema unserer Partei ist.
Jeder neue Vorstand hat 100 Tage Frist zu zeigen, wie er die Herausforderungen angeht, wie seine Arbeitsweise sein wird und was wir von ihm erwarten können. Auch der neue Vorstand braucht diese Gelegenheit, sich zu beweisen.
Es ist ja bekannt. dass ich nicht begeistert bin von einem Vorstand, in dem drei Mitglieder eine massive private Medienmacht haben und dadurch ihren Willen immer durchsetzen können. Das ist Machtmissbrauch an sich. Dass dies bei der Wahl kein Thema war, zeigt, dass auch und wohl gerade in unserer Partei der Wunsch nach einem „starken Mann“, der die Partei führt – trotz aller basisdemokratischen Aussagen und Gerede über Machtbegrenzung – sehr groß ist. Das ist vielleicht sogar richtig, denn mit einer „Basisdemokratie“ ohne Strukturen und Instrumente werden wir auch zu keinem Ergebnis kommen und das Ziel, das die meisten hier antreibt, die Beendigung der Corona-Maßnahmen, nicht erreichen.
Wenn wir uns jetzt gemeinsam erstmal auf das Nahziel „Beendigung der Corona-Maßnahmen“ konzentrieren, könnten wir wieder zusammenfinden. Dazu müssten die Basisdemokraten ihre Missionen einstellen, die Programmpolitiker (zu denen ich auch gehöre) ihre Visionen einer neuen Gesellschaft erstmal in den Hintergrund stellen und die Versuche, neben den Gebietsverbänden parallele Strukturen aufzubauen, eingestellt werden. Das bedeutet nicht, dass die Basisdemokraten oder die Programmpolitiker ihre Arbeit einstellen sollen oder dass nicht über bessere und ergänzende Strukturen nachgedacht werden soll. Im Gegenteil, diese Arbeiten sollen konstruktiv und kooperativ fortgesetzt werden, nur mit einem weit ausgedehnten Zeithorizont und ohne innerparteiliche Missionierungen.
Auch im Corona-Ausschuss wurden ja viele Ideen neuer Gesellschafts- Organisations- und Politikformen intensiv diskutiert. Die weiteren Schritte sind also angelegt, wir sollten sie mit viel Geduld, Frustrationstoleranz, Achtsamkeit und gegenseitigem Verständnis diskutieren, evaluieren und daraus langsam und behutsam sowohl ein Parteiprogramm als auch funktionierende basisdemokratische Entscheidungsprozesse entwickeln. Bis dahin ist es vielleicht sogar gut, wenn wir jetzt einen „starken“ Vorstand haben, der symbolisch für die Beendigung der Corona-Maßnahmen steht.
Soviel von jemandem, der politisch schon viele Enttäuschungen erlebt hat und trotzdem die Hoffnung nicht aufgibt.
Bleibt zusammen – wir brauchen uns alle!
Dietmar